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Geschichte Russischer Spielkarten

Autor: Ewgeni N. Grigorenko
Übersetzung aus dem Russischen: Ulrich Knüpfer

Atlas-Karten der Akademie Scharlemans

Gut bekannt und unseren Augen vertraut, sind die Spielkarten mit dem Atlas-Bild, sodass alle beliebigen anderen Karten uns scheinbar als "nicht-russisch" erscheinen. Tatsächlich, Atlas-Karten sind seit vielen Jahrzehnten sehr weit verbreitete und populäre Spielkarten in Russland. Es scheint, dass sie ebenso bedeutend sind, wie russische Volkslieder und russische Märchen. Anders als bei diesen, hier gibt es Urheber, und diese erscheinen in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Russland.

Bevor über die Schöpfer der Atlas-Karte berichtet wird, ist es nötig einige Worte über die Geschichte der Spielkarten in Russland zu verlieren. In unserem Vaterland erschienen Karten lange vor der Zeit Iwan des Schrecklichen. Bereits unter dem Sohn Iwan des Schrecklichen, Zar Fjodor Ioannowitsch, waren Spielkarten in beträchtlicher Menge in Russland verbreitet, in der Mehrzahl war es europäische Ware. Diese Karten waren eine teuere aber leichte Ware, deshalb transportierte man sie in haltbaren Eichenfässern. Schon mit Beginn des 16. Jahrhunderts wurden gewöhnliche Gegenstände über ganz Russland gehandelt, jedoch führten Spielkarten zu merklichem Schaden an Sittlichkeit und Rechtsordnung. Im Jahr 1649 wurden in den Gesetzbüchern des Zaren Alexej Michailowitsch, die Kartenspiele als schwerwiegende Straftaten eingestuft. Bis zur Zeit Zar Peters wurden Karten in Russland von auswärts angeliefert.

Der große Erneuerer Peter der I. übernahm viele europäische Gewohnheiten, aber er liebte die Karten nicht und spielte nur selten. Aber gerade in seiner Gegenwart entstanden zum ersten Mal inländische Spielkartenerzeugnisse in zwei kleinen Manufakturen innerhalb Moskaus. Die persönliche Aufmerksamkeit und größtmögliche Zustimmung der Kartenmanufaktur durch Peter den I. erklärt sich vollständig mit einer einfachen Begründung - ausgezehrt durch die Nordischen Kriege war das Geld nötig, welches der Handel mit Spielkarten brachte.

Im Verlauf des 17. Jahrhunderts produzierten kleine Werkstätten in der Hauptstadt und sogar in den Städten der Provinz. Einzelne Werkstätten erzeugten sogar ein gewisses Angebot an eigenen Kartenbildern, allerdings in sehr bescheidenem Maße. Die Kartenzeichnungen waren primitiv und änderten sich praktisch Jahrzehnte lang nicht.

Während der Zeit der Zarin Katharina der II. wurde, wegen dem schon von Alexander I. erkannten Nutzen, das Staatsmonopol auf die Herstellung von Spielkarten gegründet. Die Einnahmen aus der Spielkartenproduktion wurden für wohltätige Zwecke - und der Erhaltung der "Ressorts der Kaiserin Maria", zur vormundschaftlichen Betreuung von Waisenkindern, benutzt. Unmittelbar in der Vorstadt von Sankt Petersburg breitete sich die Spielkartenherstellung in den "Staatsmanufakturen Alexanders" aus, die dann ab 1819 als "Kaiserliche Kartenfabrik" weiter arbeiteten.

Im Verlauf von mehr als 20 Jahren bildeten sich gute Erzeugnisse heraus, solange die russischen Karten nicht auf russischem Papier und im Wesentlichen von russischen Meistern hergestellt wurden. Der Direktor der Spielkartenfabrik A. J. Wilson war bestrebt, den äußeren Anblick der Spielkarten in gewisser Weise zu verbessern, die Zeichnungen neu zu bearbeiten. Zar Nikolai I. war entsprechend eines Berichtes, den er allein und eigenhändig geschrieben hat, der Auffassung: "Er sehe keinerlei Anlass die bisherigen Zeichnungen zu verändern."

Nach der Aufhebung der Leibeigenschaft begann für die Spielkartenfabrik eine neue Zeit. Die Fabrik stand unter der Leitung von Direktor A. J. Wilson, er hatte dieses Amt mehr als 40 Jahre inne. Die ehemals Leibeigenen arbeiteten jetzt als freie Arbeiter angeführt von einem Meister namens Winkelman und es wurden mehr als 60 neue Maschinen gekauft. Zusammen mit der Erneuerung der Technik wurde es auch immer nötiger die künstlerische Aufmachung der Karten zu ändern.

Die Lösung dieser Frage wurde sehr ernst genommen. Die Erarbeitung neuer Zeichnungen für Spielkarten vertraute man den Akademiemitgliedern Adolf Iosifowitsch Scharleman (Bode-Scharleman) und Alexander Egorowitsch Beideman an. Die Künstler schufen einige Entwürfe, welche jetzt bereits seit ein und einem halben Jahrhundert in Gebrauch sind und so wunderbare Grafiken haben, dass sie deshalb im Staatlichen Russischen Museum und im Spielkartenmuseum Peterhof gezeigt werden. Einer der wegen seiner einfachen künstlerischen Gestaltung bekanntesten Entwürfe stammt von dem Akademiemitglied Scharleman. Es ist der, den wir heute als "Atlas"-Karte kennen.

Adolf Iosifowitsch Scharleman stammte aus einer russischen Familie französischer Herkunft. Sein Vater Iosif Iwanowitsch Scharleman (1782-1861) und sein Bruder Iosif Iosifowitsch Scharleman (1824-1870) waren bekannte Architekten. Anfangs lernte das Akademiemitglied Adolf Iosifowitsch Scharleman die Malerei an der Kaiserlichen Akademie der Künste in der Klasse für Geschichts- und Schlachtenmalerei. Im Jahr 1855 erhielt A. I. Scharleman für das Gemälde "Suworow auf dem Sankt Gotthard" die Goldmedaille der Akademie. Gleichzeitig mit der Medaille erhielt er die Befugnis für eine sechsjährige Auslandsreise, zu welcher er 1856 aufbrach. 1859 malte Scharleman das Gemälde "Suworows letztes Nachtlager in der Schweiz", wofür er mit dem Titel "Kunstmaler der Akademie" gewürdigt wurde.

Nach seinem Auslandsaufenthalt arbeitete Scharleman in Sankt Petersburg viel als Illustrator für Journale, oder mit staatlichem Auftrag an der Gestaltung von Wertpapieren, bemalte Kirchen und selbst an der Vorbereitungsarbeit für die Kostüme zum "Historischen Ball" von Großfürst Wladimir Alexandrowitsch beteiligte er sich. Einige Arbeiten für die Spielkartenfabrik waren auch beauftragt. Wer wusste schon, dass gerade dieses Schaffen den Künstler unsterblich machen sollte!

Man kann leicht erklären, warum gerade dieses Spielkartenprojekt so erfolgreich war. Die Zeichnungen der Schule Beidemans, sowie andere Entwürfe Scharlemans waren sehr angenehm in ihrer künstlerischen Erscheinung, aber sie erwiesen sich als nicht geeignet für die Massenproduktion beim Druck der Spielkarten. Scharlemans Atlas-Karten hingegen waren mit nur vier Farben gezeichnet - Schwarz, Gelb, Blau und Rot. Doch nicht nur diese "Technik" spielten eine Rolle für den Erfolg. Die Zeichnungen der Figuren erwiesen sich als dermaßen einfach und unnötiger Details beraubt, dass der Erfolg geradezu unvermeidlich war.

A. I. Scharleman schuf kein prinzipiell neues Kartenbild. Das Atlas-Bild ist ausschließlich als Ergebnis der meisterhaften Umarbeitung schon existierender Kartenbilder, welche schon im 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts in den Moskauer Kartenwerkstätten gefertigt wurden, entstanden. Diese "alten" Zeichnungen werden ihrem Ursprung nach "Norddeutsches Bild" genannt, das wiederum gänzlich aus den alten französischen Volksspielkarten hervorging.

Wir haben hier zum Vergleich einige Spielkarten aus verschiedenen Epochen und Ländern.

Abbildung 1 Abbildung 2 Abbildung 3
Abbildung 4 Abbildung 5 Abbildung 6

Die Abbildung 1 stellt die Figur des Pik-König aus einem französischen Spiel von 1816 dar - diese offiziellen Entwürfe der Regierung, welche die Könige ohne Thron zeigen, entstanden nach der Großen Revolution und stellten die alte Kartenmonarchie wieder her. Abbildung 2 - Karten aus einem französischen Spiel von 1890. Zu sehen ist eine Überarbeitung der Spielkarten, sie wurden als Doppelbild hergestellt, oder, wie es in einigen russischen Büchern zu lesen ist, die Karten waren "Zweiköpfig". Als Abbildung 3 sehen wir den Herz-König aus einem russischen Spiel von 1820, hergestellt in der Kaiserlichen Spielkartenfabrik. Das Aussehen des Königs erinnert eher an einen Mann vom Dorf als an die Person des Zaren, aber gerade deswegen spielte Puschkin Karten!

Doch eine Frage ergibt sich - wer waren die Vorbilder der Figuren auf den Karten? Die Figuren auf russischen Spielkarten waren anonym, anders als bei den französischen, diese besaßen genaue Namen und dienten im Wesentlichen Scharleman für seine Arbeit. Karl der Große steht an der Spitze der Herz-Farbserie; der Hirte, Sänger und jüdische König des Altertums David ist auf Pik, Julius Caesar und Alexander von Makedonien waren auf Karo und Kreuz zusehen. Auf den Damen waren bei Herz die Heldin der biblischen Legende - Judith, die besonders in Russland berühmte Pik-Dame ist die griechische Göttin Pallas Athene. Die Farbe Karo bringt man in Verbindung mit Reichtum, denn das Karo-Zeichen, welches wir als Rhombus sehen, symbolisiert einen Diamanten. Im 16. Jahrhundert ordnete man Rachel, die Heldin der biblischen Legende aus der Zeit Jakobs, der Karo-Dame zu. Der Legende nach war sie eine geizige Frau, was völlig der neuen Bedeutung der Kartenfarbe entsprach. Die Figur der Kreuz-Dame wurde hingegen verallgemeinert. Sie stellte mit heutigen Worten gesagt eine Sexbombe dar, der absichtlich der majestätische Beiname Argine zugefügt wurde. Dieser Worte wegen wurden die Figuren bekannt, nannten sie doch hinter dem Rücken des französischen Königs die Könige, sowie deren Mätressen und Geliebten beim Namen. Die Figuren der Buben zeigen Haudegen der Geschichte wie Etienne de Vignolles, Ritter zurzeit Karl des VII. (Herz), dem adligen Ogier von Dänemark (Pik), den Ritter der Tafelrunde - Hector de Maris (Karo) und schließlich noch Sir Lancelot, den ranghöchsten Ritter der Tafelrunde (Kreuz). Zu Zeiten Kaiserin Elisabeth Petrownas kannten die russischen Spieler noch die Namen auf den Karten. Der Dichter W. I. Majkow nennt in seinem Poem "Das L'hombre-Spiel" den kühn auf den Tisch geworfenen Pik-Buben - Hogier.

Der Entwurf Scharlemans (Abbildung 4) zeigt nicht nur höchste professionelle und meisterliche Kunst, sondern auch das tatsächliche Verständnis gerade für die grafischen Eigenheiten der Karten. Die Entwürfe passen sich sehr gut an das Format der Spielkarten an, und damit nicht genug, sie sind ungezwungen und füllen die Freiräume der deutlich horizontal geteilten üppigen Figuren "mit frischem Wind", wie heute Computergrafikdesigner sagen würden. Gerade bei der Erscheinung der Könige, Damen und Buben empfindet man die aufrichtige Erhabenheit und Würde, wodurch sich die Atlas-Karten gegenüber den geziert oder oberflächlich wirkenden Figuren anderer russischer Karten dieser Zeit vorteilhaft unterscheiden.

Die neugeschaffenen Kartenentwürfe hatten eigentlich nicht die Bezeichnung und hießen auch nicht "Atlasartige". Die Bezeichnung "Atlasartige" entstand in der Mitte des 19. Jahrhunderts und bezog sich nicht auf die Zeichnungen oder den besonderen Stil, sondern auf die technologische Verarbeitung bei der Herstellung der Karten. Das Wort "Atlas" selbst bezeichnete damals und heute die besondere Qualität glatter, prächtig glänzender und seidenartiger Stoffe. Das Papier aus dem damals die Karten hergestellt wurden war rau, fleckig und wellig, von schlechter Beschaffenheit und es hatte häufig verschiedene Blattstärken. Für die Ausstattung der Karten verbesserte man die Beschaffenheit des Papiers bevor sie auf speziell dafür gebauten Maschinen gedruckt wurden, erst durch einreiben mit Talkum. Die Arbeit damit war aber äußerst schädlich für die Gesundheit. Die auf Atlas-Papier hergestellten Karten brauchten Nässe nicht zu fürchten, beim Mischen glitten sie gut aber sie kosteten viel. Im Jahre 1855 kostete ein Dutzend Spiele 5 Rubel und 40 Kopeken, ebensoviel wie ein manuell gefertigtes Spiel mit Goldschnitt für den Hof des Zaren.

Die Zeichnungen Scharlemans benutzte man für die Atlas-Karten der 1. und 2. Sorte, jedoch auch für die Sorte "Extra" in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts. Nach und nach stellte man alle Spielkarten auf Atlas-Papier her und letzten Endes bürgerte sich die Bezeichnung "Atlas" für die Karten Scharlemans ein. In einer "Preisliste des Jahres 1935" des Staatlichen Spielkarten-Monopols, dass unter der Führung des Volkskommissariat für Finanzen stand, kostete ein Spiel "Atlas-Karten" mit 52-53 Blatt 6 Rubel.

Adolf Iosifowitsch Scharleman machte erfolgreich Kariere. Im Jahr 1873 wurde er mit dem Amt eines Malers am Hofe gewürdigt. Er war Mitglied der Russischen Gesellschaft der Aquafortisten 1), der Kameradschaft Russische Künstler, Illustrator und anderes mehr. Scharleman gestaltete als Künstler des Hofes zahlreiche Gemälde von Bällen, Kostümfesten, Landschaften, aber auch Programmhefte, Speisekarten und vieles mehr. Der Maler starb 1901 in Sankt Petersburg und wurde auf dem römisch-katholischen Vyborg-Friedhof beigesetzt, wo auch sein Vater und sein Bruder ruhten. Nach der Revolution wurden die Gemälde und Fresken mit denen dieser Friedhof und die Friedhofskirche ausgestattet waren und die nebenbei gesagt von Adolf Iosifowitsch stammten, sehr vernachlässigt und in den Nachkriegsjahren gingen die benachbarten Produktionsgebäude der Fabrik ganz und gar verloren. Zusammen mit dem Grab der Familie Scharlemans verschwanden auch die Gräber der Familie Benua 2), sowie die der Grafen Potozki und vieler anderer.

Atlas-Karten wurden viele Jahrzehnte im einfachen Steindruck hergestellt. Abbildung 5 zeigt solche Karte aus einem Spiel von 1895. Mit voranschreiten der technischen Entwicklung in der Spielkartenfabrik, entwickelte sich in den Jahren der Sowjetmacht ein bedeutendes polygrafisches Unternehmen - das Farbdruckkombinat. Es verlangte aber den Übergang zum Offset-Druckverfahren. Die Umarbeitung der originalen Vorderseiten der Atlas-Karten für die Erfordernisse des Offset-Druck erledigte der Kunstgrafiker Juri Petrowitsch Iwanow. Er hielt sich dabei sorgfältig an die Originalzeichnungen Scharlemans (Abbildung 6).

Die Originalskizzen A.I. Scharlemans lagerten in den Archiven des Staatlichen Spielkarten-Monopols - diese sowjetischen Behörde kontrollierte den Verkauf von Spielkarten in der UdSSR. Nach der Auflösung der UdSSR befanden sich die Originalskizzen in der Sammlung des Leningrader Sammlers und Spielkartenhistorikers Alexander Semjonowitsch Perelman. Er besaß in der UdSSR die größte Sammlung von Spielkarten und Spielkartenutensilien 3). Vor nicht allzu langer Zeit erwarb das Museum in Peterhof einen Teil der Sammlung, sodass im Sommer diesen Jahres (2002) das erste Spielkartenmuseum in Russland eröffnet werden konnte.

Selten passiert es Künstlern, Dichtern oder Schriftstellern, dass die Urheberschaft ihrer Werke im Lauf der Zeit vergessen und so einfach zum Volkslied oder Volksmärchen wird. Aber ebenso ergeht es Adolf Iosifowitsch Scharleman, obwohl Spielkarten mit seinen Zeichnungen in jedem Haus zufinden sind.

1) Diese Vereinigung entwickelte und nutzte neue Techniken für Ätzungen und Gravuren.
2) Familie berühmter russischer Maler, von der viele Russland nach der Revolution verließen und nach Frankreich oder Italien gingen. Der Stammvater war ein berühmter Architekt zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
3) Er starb 1996 und die Sammlung wurde zum Teil von seinen Erben in alle Winde zerstreut.

Benutzte Quellen
1. A. S. Perelman. Neue Figuren der Akademie Scharleman. Sankt-Petersburg. 1995.
2. Spiel und Passion in der russischen bildenden Kunst. Album. Ausgabe des Staatlichen Russischen Museums. 1997.
3. L. F. Garin. Kunst und Karten. Panorama der Kunst. Ausgabe 8.
4. Ein und ein halbes Jahrhundert. Zum 150. Jahr - Leningrader Farbdruckkombinat. 1969.
5. D. S. Lesnoij. Spielhaus. Enzyklopädie. 1994.
6. Henri Rene D'Allemagne. Antique playing cards. 1996.
7. Spielkarten aus der Sammlung E. N. Grigorenko.


16. September 2006

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